Vor Jahren habe ich eine Fortbildung in „Aufstellungsarbeit“
gemacht.
Aufstellungsarbeit? Was ist das?
Wir können uns in einem Raum nach unserem Alter aufstellen,
nach Körpergröße, oder unserem Platz in der Geschwisterreihenfolge.
Wir können Fragen lösen (Dilemma – Tetralemma)
Man kann Beziehungen aufstellen, so wie sie gerade ist.
Das Verhältnis zum/zur Partner*in, zu anderen Menschen.
Wir können Familien aufstellen.
Bei einer Aufstellung müssen die anderen, um die es geht, nicht
anwesend sein, nicht einmal mehr leben.
Ich kann meine Beziehung zu meinen Eltern aufstellen, obwohl
sei nicht mehr leben.
Für die, die so etwas noch nicht erlebt haben, hört sich das
etwas diffus, mitunter schräg an, aber Aufstellungen sind hilfreiches Mittel,
um Dinge sichtbar zu machen, und dann mit einem guten Bild, einem guten Wort, einem
guten Ergebnis abzuschließen.
Themen, die immer wieder auftauchen, ist das Thema
Generationen: Eltern zu Kindern, Kinder zu Eltern.
Und dies spielt auch im Evangelium eine Rolle:
Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht
wert.
Wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht
wert.
Harte Worte, die Jesus den Apostel sagt. Worte, an denen sich
hoffentlich die Menschen damals gerieben haben. Diese Forderungen stehen in
Spannung, ja Widerspruch zum vierten Gebot. Es besagt, dass wir Vater und
Mutter ehren sollen. Irgendwie ein Widerspruch.
Die Liebe, die Verantwortung für einen Menschen – zu den
Eltern, zu den Kindern – zu denen, mit denen mich eine ganz enge Beziehung
verbindet - soll der Beziehung zu Gott, der Nachfolge im Wege stehen?
Schwierig.
Vielleicht sind damit gar nicht die Eltern und die Kinder als
Personen gemeint. Vielleicht stehen diese Personen für etwas anderes.
Für Verhaltensweisen, für ein Muster im Denken, Fühlen, im
Tun.
Vielleicht stehen Eltern / Kinder für offene und verdeckte
Aufträge, die wir von Eltern / von einer oder mehreren Generationen vor uns übernommen
haben, bewusst und unbewusst.
Oder für Aufträge, die wir meinen, unseren Kindern / der
nächsten Generation gegenüber zu haben.
Was meine ich damit?
Es gibt Familien, in denen klar ist, wer den Hof, das
Elternhaus übernimmt. Seit Generationen ist festgelegt, dass die Landwirtschaft
weitergeführt wird.
Es gibt Familien, in denen war der Opa Arzt, der Vater Arzt
und die Tochter, der Sohn ist auch Arzt / Lehrer / Handwerker / oder oder oder.
Es gibt also ein offenes oder verborgenes Tun, dass wir von
den Eltern etwas übernehmen. Bewusst oder unbewusst.
Manche übernehmen Meinungen/Ansichten von den Eltern. Kinder,
auch wenn sie selbst 50, 60, Jahre alt sind und die Eltern nicht mehr leben,
machen etwas nicht, weil sie sich nicht trauen, weil es in der Familie nicht
schicklich war, nicht gepasst hat.
In manchen Familien gab und gibt es Tabu-Themen. Dinge, über
die nicht gesprochen wurde oder wird. Über Gefühle spricht man nicht, über
Sexualität nicht, über den Krieg nicht.Wir übernehmen Traditionen, ohne sie zu hinterfragen, ohne
uns von ihnen zu lösen.
Diese Übernahme von Traditionen, kann hindern, zum eigenen
Leben zu kommen.
Wenn ich als Erwachsener immer noch schaue, wie die Eltern
reagieren oder regieren würden, wenn sie noch lebten, werde ich nicht wirklich
selbstständig.
Ich erlaube mir Dinge nicht, weil sie in der Familie tabu
waren, nicht erlaubt waren.
Ich will damit nicht sagen, dass alles, was wir von unseren
Eltern, Großeltern oder so bekommen haben, schlecht ist. Ganz und gar nicht.
Wir haben viel Gutes erfahren und übernommen, das es zu würdigen gilt. Und es
gibt die Beobachtung, dass, je älter Menschen werden, sie ihren Eltern umso
ähnlicher. Äußerlich und manche auch innerlich.
Dennoch, es braucht aber hin und wieder eine Spur Distanz –
den Abstand – um etwas besser zu erkennen.
Ich muss mich also von den Bindungen lösen, damit – und das
finde ich im zweiten Teil des Evangeliums – ich Bindungen eingehen kann.
Ich muss mich von Beziehungen lösen, damit ich neue
Beziehungen eingehen kann.
Und ich muss mich von manchen Vorstellungen der Generation
vor mir lösen, um einen Vorstellungen zu entwickeln.
Die Bereitschaft zur Aufnahme eines anderen, die
Bereitschaft, ihm Platz in meinem Haus einzuräumen, äußerlich und innerlich,
benötigt den freien Raum, den Freiraum.
Roland Breitenbach, Pfarrer in Schweinfurt, drückt das in einem Text so aus:
Verlieren
Das alte Leben verlieren heißt auch:
Sicherheiten aufgeben.
Ängste nicht weiterpflegen.
Falsche Schuldgefühle lassen.
Aus engen Traditionen ausziehen.
Sich nicht darum kümmern, was andere sagen.
Das alte Leben verlieren heißt auch:
Die Lust am Leben bejahen.
Zu seiner Sinnlichkeit stehen.
Sich neue Räume erschließen.
Das Risiko nicht scheuen.
Dem Kreuz nicht ausweichen.
Das alte Leben verlieren heißt auch:
Neue Wege suchen.
Zu träumen wagen.
Sich schutzlos öffnen.
Lieben, dass es wehtut.
Gott vertrauen.
Peter Göb