Auf dieser Seite finden Sie Gedanken zum Sonntag oder eine ausformulierte Predigt sowie ein Segensgebet.

Die Predigten hier können in Form und Inhalt von den Predigten im Gottesdienst abweichen.


Am ersten Sonntag im Monat findet um 9 Uhr in Borken und am dritten Sonntag im Monat um 11 Uhr in Homberg ein Kindergottesdienst statt.


Die Lesungstexte der Sonn- und Wochentage finden Sie unter:

Karfreitag

18. April 2025

Gedanken

Worauf schauen Sie heute?


Worauf richten Sie, richten wir, heute die Aufmerksamkeit?

Wo meine Aufmerksamkeit hingeht, dahin geht auch meine Energie.

Für das, was mir wichtig ist, setze ich Energie ein.
Also auch Zeit, Gedanken, vielleicht auch Geld und Nerven.

Worauf richten wir heute unsere Aufmerksamkeit?


Heute, am Karfreitag. Jetzt in dieser Stunde.

Dieser besondere, einmalige Gottesdienst bietet vieles an,
worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten können.


Die erste Lesung – das Lied vom Gottesknecht.

Das ist die Beschreibung eines Menschen, der seinen Rücken hinhält und gefoltert wird.
Ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Durchbohrt, misshandelt.
Wegen uns, unserer Sünden. Da wird ein Mensch beschrieben,
der für uns, für Sie, Dich und mich, leidet.

Will ich auf diesen gefolterten Menschen meine Aufmerksamkeit lenken?


Die zweite Lesung aus dem Hebräerbrief erzählt von einem Christus,
der schreit und unter Tränen die Anliegen vor Gott bringt.
Aber auch von einem, der mitleiden kann.


Und schließlich die lange Passion nach Johannes.

Die Verhaftung, der Prozess, die Kreuzigung und alles, was darum herum geschieht.

Verrat. Verleugnung. Stimmungsmache, die Macht des Volkes,
verzweifelte Versuche, den Angeklagten zu retten,
Versuche, sich selbst zu retten, ein Todesurteil.

Am Ende steht die Kreuzigung.

Ein schändlicher Tod.

Ein langsames, qualvolles Sterben, Tod durch Ersticken.


Worauf richten wir die Aufmerksamkeit?

Wie an keinem anderen Tag des Jahres
wird die Aufmerksamkeit auf das Leiden und Sterben gerichtet.

Auf das Leiden und Sterben eines Menschen.

Auf das Leiden und Sterben Gottes.


Der Karfreitag ist ein Tag der Trauer, des Entsetzens, des Sterbens.

Diesen Dingen versuchen wir auszuweichen, oder?

Heute können wir nicht ausweichen.

Und nicht nur heute.

Denn Leiden, Sterben, Entsetzen kommen täglich in unsere Wohnzimmer, auf den PC.

Die Nachrichten sind voll davon.

Wir hören von Angriffen auf Städte in der Ukraine, Krankenhäuser und Rettungsdienste im Gaza-Streifen.

Despoten treiben ihr Unwesen.


Die Menschen dort, ja ganze Gesellschaften, leben seit Jahren in einem ständigen Karfreitag.

In einem Zustand der Ohnmacht, der Gewalt, der Perspektivlosigkeit.

Es gibt persönliche Karfreitage und gesellschaftliche Karfreitage.

Dazu gehören die Kriege.

Kriege zerreißen die Völker, Waffen reißen Menschen Körperteile ab,
zerstören Gemeinschaft, reißen die Menschen und Familien auseinander.


Es gibt „Kriege“ unterschiedlicher Art.
Wenn Menschenrechte eingeschränkt werden, wenn es Beschränkungen in Diversität, in der Freiheit und vielen anderen Bereichen gibt, dann sind das auch eine Art “Krieg“.

Heute kommen neue „Kriege“ dazu.


Manche sprechen von einem „Handelskrieg“,

der unnötig vom Zaun gebrochen wurde.


Es gib eine hybride Kriegsführung.
Zusätzlich zur konventionellen Kriegsführung, gibt es staatlich verantwortete Angriffe auf kritische (IT-) Infrastrukturen anderer Länder (hybrid ist dabei umfassender als "cyber", weil es physische Angriffe, z.B. auf Sachen wie Gas-, Strom- und Wasserversorgung, Verkehrsinfrastruktur, usw. umfasst).

Kriege, gleich welcher Art, zerstören verletzen, töten.
Krieg hat immer nur Verlierer.


Der Karfreitag ist ein Tag der Trauer, des Entsetzens, des Sterbens.

Wie gehen wir damit um?

Wie ist unsere Reaktion darauf?


Sollen wir vor dem Leid fliehen?

Oder sollen / müssen wir das Leid aushalten?

Gott weicht dem Leid nicht aus.

Er steigt nicht herab vom Kreuz, auch wenn ihm das andere nahelegen.

Wenn du Gottes Sohn bist, so steig herab vom Kreuz, so wird ihm zugerufen.

Dieser Versuchung hält Gott stand.

Aber er beendet auch nicht das Leid, den Krieg, die Gewalt.

Könnte er doch, wenn er allmächtig ist, oder?


Gott muss die Fragen aushalten: Warum, wieso? Wozu es Leid gibt. Warum es Kriege gibt, warum Menschen wahnsinnige Taten begehen, Leid über Menschen, Familien, Länder und Völker bringen.

Das sind die großen Fragen, die Gott zu beantworten hat.

Wenn Gott allen Streit beenden würde, auf welche Seite würde er stehen?

Er müsst sich entscheiden. Schon jetzt urteilen, schon jetzt Gerechtigkeit üben.

Aber er hat den Menschen in Freiheit geschaffen, ihm einen freien Willen gegeben,


Diesen freien Willen setzt der Mensch leider auch gegen andere Menschen ein.

Der Mensch kann seinen freien Willen einsetzen. Gegen oder für andere Menschen.

Wir können also aktiv gegen das Leid werden.

Aushalten. Durchhalten. Helfen.

Leicht gesagt. Schwer getan.


Worauf richten wir unsere Aufmerksamkeit?

Der Tag heute richtet die Aufmerksamkeit auf das Leiden Gottes,
und auf das Leiden der Menschen. Und es ist schmerzhaft, dies aushalten zu müssen.


So manches Leid könnten wir ändern, verhindern oder zumindest mindern.

Durch eine Beteiligung von Menschen mit Einschränkungen,
durch Offenheit in unserem Denken,
durch Weite und Inklusion in unserer Sprache,
durch bauliche Veränderungen, durch gerechtere Gesetze.

Und dennoch bleibt manchmal Ohnmacht.


„Ich konnte nicht helfen“ ist eine Aussage, die oft zu hören ist,
wenn Menschen einen anderen leiden sehen und mitansehen müssen,
dass sie am Ende scheinbar nicht helfen konnten.

Vielleicht ist die Anwesenheit von Menschen oft schon Hilfe genug.

Die Menschen unter dem Kreuz konnten auch nicht helfen.

Aber vielleicht war es für Jesus und für die anderen,
die gekreuzigt wurden, eine Hilfe, dass sie da waren.


Vielleicht es für leidende Menschen heute eine Hilfe, dass wir da sind.

So wie damals die Menschen unter dem Kreuz.

Einfach da sein, unserer Verzweiflung und unserem Zweifel bewusst,
schreiend oder still, in Gedanken bei ihnen und manches Gebet für sie sprechen.


Wir dürfen und müssen uns dafür einsetzen, dass das Leiden der Menschen geringer wird,
das persönliche und gesellschaftliche Karfreitage weniger werden.


Auf den leidenden und sterbenden Gott und auf die leidenden Menschen dürfen wir heute unsere Aufmerksam lenken.

Und daraus Konsequenzen ziehen.



Peter Göb